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Verzeihen, Vergeben, Versöhnen

Menschen neigen dazu, ihr Gefühl von Identität dadurch zu stärken, dass sie sich Sündenböcke suchen. Sündenböcke nennt man im normalen Sprachgebrauch Wesen (meist Menschen, aber - wie der Name ja sagt - ursprünglich auch Opfertiere), denen man die Schuld an etwas zuschreiben kann. Sündenböcken kann man nicht vergeben oder verzeihen, denn ihre Schuld ist ja imaginär, d.h. der Vollzug des Opfers an ihnen oder zumindest der Aufruf dazu beruht eigentlich auf einer magischen Weltsicht. Auch heute kennen wir viele Sündenböcke, z.B. die Flüchtlinge, den Kapitalismus, bestimmte Regierungen - manchmal ist der Übergang zwischen begründbarer, rationaler Kritik und Verteuflung von etwas oder jemand fliessend - das ist leider das Vertrackte. Hier sind nüchterner Verstand gefragt und davon bestimmtes politisches Handeln, aber nicht Vergeben oder Verzeihen.

Das ist erst dann möglich, wenn das Übertreten einer ethischen oder moralischen Grenze durch jemanden klar ist, diese Person also Schuld an etwas ist, und wenn man selbst davon betroffen ist. Ausserdem verbleiben Schuld, Verzeihung, Vergebung und Versöhnung in der menschlichen Sphäre. Ich kann vernünftigerweise nicht den Kartoffelkäfern verzeihen, dass sie ein Feld kahl gefressen haben - höchstens metaphorisch.

Diese drei Begriffe sind wie Schritte: Das Verzeihen ist ein Verzichten, nämlich der Verzicht auf Strafe und Nachtragen, also auf einen nachträglichen Vorwurf der Sache. Die Vergebung betrachtet diesen gleichen Schritt mit mehr Pathos und betont den Aspekt, dass der Geschädigte nicht nur auf etwas verzichtet, sondern dem Schuldigen sogar freiwillig etwas gibt und so einen Beitrag zum Frieden untereinander leistet. Solche Vergebung - und nun kommt der Täter / die Täterin noch mal ins Spiel - muss aber auch angenommen werden können, damit Versöhnung zustande kommt ("Verschwisterung" geht hier auf Deutsch leider nicht, da es eine andere Bedeutung hat).

Das Ziel dieser drei Schritte ist demnach die Dreieinheit von Frieden, Freundschaft und Freiheit. Denn sie schaffen Vertrauen, mit dem Neuanfänge möglich sind. Wo sie Mangelware sind, tragen Zwist, Misstrauen und Hass zur Zerstörung bei.

Ein philosophisches Thema: Ich denke ja. Ein Veranstaltungstipp: Zorn, Hass und Vergebung am 8.10.2018.

Ethik und Desillusionierung

Ich möchte diesen Blog, den ich im Sommer 2018 starte, mit einem Thema beginnen, das zeitlos ist und dennoch heute besondere Aktualität zu haben scheint: Wir machen uns seit vielen Generationen Gedanken darüber, was die sinnvollsten, vernünftigsten und gerechtesten ethischen Regeln sind, nach den alle Menschen handeln sollten. Wir haben Wissenschaften entwickelt, deren Forschungen zu einer breiten Wissensgrundlage führt auch dafür, welches Handeln für die Zukunft sinnvoller ist als ein anderes, wenn die Menschheit als ganze nicht in schwere Probleme hineingeraten will. Man sollte also meinen, es gehe auf der Welt mittlerweile höchst zivilisiert zu, sinnvolles Handeln sei die allgemein verbreitete Norm und Menschheitsprobleme gehörten der Vergangenheit an, weil wir längst gelernt hätten, vernünftig mit diesen Herausforderungen umzugehen. Und wie ist die Realität: Sie scheint geprägt vom unzivilisierten Machtgebaren von Rowdies, Machos und Paten in allen Bereichen: Die Autos fahren,. sobald sie fahren, die aus vernünftigen Gründen vorgeschriebene Abgasnachbehandlung ab, Politiker wollen nichts mehr wissen von Menschenrechten, vom Völkerrecht, vom Handelsrecht, wenn sie nur meinen, dass dadurch ihr Ego - das sie mit dem eigenen Land verwechseln - wesentlich eingeschränkt wird. Autonomie wird mit Willkür verwechselt und Freiheit mit Gewalt. Diese zugegeben kurze Beschreibung mag reichen, um den aktuellen Anlass meiner Frage zu verstehen: Warum will das nicht klappen mit der Ethik? Warum bekommen wir es nicht hin, dass das, was wir für sinnvoll halten, auch von allen als Norm befolgt wird? Ist es nicht angesichts dieser frustrierenden Lage sinnlos, sich überhaupt mit Ethik zu befassen?

Oder hat, da Ethik ja nun mal nur dann überhaupt Sinn ergibt, wenn der Mensch in seinem Handeln frei ist und sie insofern nur eine Sollensregel angeben kann, aber kein zwingendes Müssen, ist also angesichts der menschlichen Freiheit immer mit eklatantem Unsinn und narzisstischem Egoismus, den weder die Anderen scheren noch die Zukunft, zu rechnen? - Nun, so ist es meines Erachtens, das Problem jedoch scheint mir, dass die Weltlage doch immer ernster ist und im Moment in nur wenigen Staaten (vor allem auf der Südhalbkügel interessanterweise) politisches Handeln vorherrscht, das die vorhandenen Probleme mit angemessenen Massnahmen angeht, ohne sich in ego-shooterischen Machtrangeleien zu verstricken, die nur alle näher an den Abgrund bringen. Wie kommt es, dass diese Fatzkes (man verzeihe dieses Wort, obwohl es sehr präzise genau das bezeichnet, was ich zuvor umschrieben habe) unsere Gesellschaften so im Griff haben? Wie kommt es, dass wir alle von ihnen so hypnotisiert sind? Vielleicht hat jemand von Ihnen eine Antwort. Auch ich werde mir noch etwas überlegen...
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